Ich war mit dem Zug unterwegs. Um am Fernverkehr teilnehmen zu können, musste ich zuerst eine Strecke Nahverkehr bewältigen.
Es ist Sonntag morgen zwischen 6 und 7 Uhr. Es ist ein morgens schon sonniger Tag im Mai. Eine ruhige Zeit im Nahverkehr, dachte ich.
Im S-Bahn Wagen sitzen vereinzelt Personen. Vielleicht 5 an diesem Morgen in diesem Wagen. Menschen, die Sonntags arbeiten, so wie die Lokführer*innen und Zugbegleitungen oder Menschen, die früh aufgebrochen sind und noch eine längere Reise vor sich haben so wie ich. So genau kann man den Menschen nicht ansehen, ob sie demnächst schon an ihrem Ziel angekommen sind oder ihre Reise erst gerade begonnen haben. Hinter ihrem Mund-Nase-Bedeckungen bleibt die Neugier auf die Reise, die Müdigkeit nach der Schichtarbeit oder das Einstellen auf einen Arbeitssonntag im Verborgenen.
Bei einem Halt steigen drei, gut und modern gekleidete junge Herren ein und nehmen in einiger Entfernung Platz. Wir nehmen wieder Fahrt auf. Es ist merklich lauter geworden, die drei Herren diskutieren lebhaft untereinander und wechseln zwischen verschiedenen Sitzen.
Die Zugbegleiterin erscheint im Gang. Sie fragt nach den Fahrkarten aber vorallem bittet sie die Herren darum eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen.
Eine Diskussion kommt auf und es wird lauter, jetzt kann ich aus meiner Entfernung dem Gespräch mit der Zugbegleiterin folgen. Ich schaue mich um und bemerke, dass auch einigen Mitreisenden diese veränderte Reisesituation unangenehm wird. Das sehe ich trotz Mund-Nase-Bedeckung an den Blicken untereinander und an den Versuchen die Situation zu ignorieren.
Die Lautstärke steigt weiter an und ich erlebe die Situation als Aggressiv. Inzwischen haben sich die drei Herren vor der deutlich kleinere Zugbegleiterin aufgebaut und als klar wird, dass es keine Ausnahme zur Mund-Nase-Bedeckung gibt wird die Stimmung noch aggressiver.
Vorallem einer der Herren hat keine Mund-Nase-Bedeckung. Zu zweit reden die Herren auf die Zugbegleiterin ein während der dritte mit seinem Mobiltelefon beschäftigt ist.
Die Stimmung war schon derart eskaliert, dass ich mein Mobiltelefon herausholte und vorsichtshalber schon die Notrufnummer eintippte; ich drückte aber noch nicht auf Wählen.
Die Zugbegleiterin machte von ihrem Hausrecht im Zug gebrauch und verwies den einen Herr des Zuges. Der weigerte sich, beschimpfte die Zugbegleiterin und bespuckte die Zugbegleiterin mehrfach.
Inzwischen waren wir an einem neuen Halt angekommen. Aus der Diskussion war ein Geschrei geworden und die Zugbegleiterin drohte mit der Bundespolizei, wurde jedoch weiter angespuckt.
Erst als Sie zum Telefon greift verlassen die drei Herren mit eiligen Schritten den S-Bahn Wagen.
Dabei fällt auf, dass der dritte Herr offensichtlich die ganze Zeit gefilmt hat. Und ich verstehe noch Wortfetzen der drei Herren, die darauf hindeuten dass der Film wohl für TikTok ist.
Ich hatte mich vorher gefragt, warum und wohin drei so modern gekleidete junge Herren an einem Sonntag zwischen 6 und 7 Uhr Zugfahren; und es war klar dass sie nicht auf dem Heimweg nach einer langen Party-Nacht waren.
Jetzt war es so offensichtlich …es waren Influencer; die sich eine solche Aktion gar nicht im Berufsverkehr zugetraut hätten und sich daher einen ruhigen Sonntagsmorgen-Zug ausgesucht hatten.
Nachdem die drei Influencer den Zug verlassen hatten und außer Sichtweite waren, die S-Bahn wieder Fahrt aufnahm kehrte wieder diese, einem Sonntagmorgen viel würdigere Ruhe ein.